Onlinevortrag „Antiosteuropäischer Rassismus in Geschichte und Gegenwart“
Gespannt verfolgten 27 Teilnehmende den Onlinevortrag „Antiosteuropäischer Rassismus in Geschichte und Gegenwart“ von Jannis Panagiotidis. Im Rahmen der Antirassismuswochen in Magdeburg hatte die Koordinierungsstelle Engagement Ukraine in Sachsen-Anhalt der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. (AGSA) am 30. März 2023 dazu eingeladen, ihr Leiter Ales Janousek führte als Moderator durch die Veranstaltung.
Jannis Panagiotidis ist Historiker und Migrationsforscher und arbeitet als wissenschaftlicher Leiter des Research Center for the History of Transformations (RECET) an der Universität Wien. Gemeinsam mit Hans-Christian Petersen verfasst er aktuell eine Monografie zur Geschichte und Gegenwart des antiosteuropäischen Rassismus.
Es soll das erste umfassende Werk zum Phänomen des Rassismus gegen Menschen aus Osteuropa werden, dem Panagiotidis zufolge nach 1945 zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Die Critical Whiteness Theory definiere zwar schwarz/weiß als Machtverhältnis und nicht als „Hautfarbenthema“, fokussiere jedoch vorrangig auf BIPoC.
Machtpositionen mit Farbcodes zu versehen, schließe Menschen aus der Betrachtung aus, die weiß sind und nicht zur Dominanzgesellschaft gehören.
Dabei sei genau das wichtig: Sich die Machtpositionen, historischen Strukturen, die ökonomische Stellung und unser Konzept von bzw. unsere Sicht auf Osteuropa unter die Lupe zu nehmen. Das sei nach 1945 leider nicht passiert. Weder sei die Siedlungspolitik des Deutschen Kaiserreiches noch die mörderische „Volk ohne Raum“ – Expansion des NS-Regimes auf der Grundlage einer rassistischen, sozialdarwinistischen Ausbeutungs- und Vernichtungsideologie aufgearbeitet worden.
Bis 1990 wurde weder diesseits noch jenseits des Eisernen Vorhangs eine ernsthafte Auseinandersetzung angestrebt. Als es dann spätestens mit EU-Beitritt und der Unionsbürgerfreizügigkeit Menschen aus Osteuropa nach Westeuropa zog, waren die alten Ressentiments und Denkmuster wieder da: Osteuropäerinnen und Osteuropäer als faul, verlogen, kriminell oder allein unter dem Aspekt der billigen Arbeitskraft anzusehen, konnte an die rassistischen Stereotypen vom „unzivilisierten Osten „und „slawischen Untermenschen“ nur allzu gut anknüpfen.
Bleibt die Frage, welche Auswege auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme wünschenswert wären. Da kamen aus den AGSA-Fachstellen und -Mitgliedsorganisationen sowie den bundesweit hinzugeschalteten Beratungsinstitutionen zahlreiche Anregungen. Die Dethematisierung oder Leugnung rassistischer Diskriminierung von Osteuropäer*innen muss benannt und aufgearbeitet werden.
Panagiotidis stimmt in dem Zusammenhang der aktuelle Lagebericht "Rassismus in Deutschland" hoffnungsvoll. Dieser bescheinigt auf Seite 30 die offensichtliche Leerstelle in der Forschungslandschaft und sieht "in Deutschland vor dem Hintergrund der Geschichte des Nationalsozialismus und dessen rassistisch begründeter Besatzungs- und 'Germanisierungspolitik' mit Millionen zur Zwangsarbeit verschleppten oder ermordeten Menschen in Osteuropa" eine besondere Bedeutung und Forschungsbedarf.
Osteuropa und seine leidvolle Geschichte gehören sowohl stärker in die Lehrpläne verankert als auch in die Prozesse interkultureller Öffnung aller zentralen staatlichen Strukturen integriert.
Bei aller Notwendigkeit struktureller Aufarbeitung und Bekämpfung von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Behinderung von Teilhabe, sei es wichtig, nicht zu verhärten, so eine Teilnehmerin zum Ende der Veranstaltung. „Wir müssen in Begegnung kommen und bleiben und uns unsere Geschichte erzählen“.
Die AGSA bleibt dran am Thema – sowohl fachlich-strukturell - aber auch als „kleine Uno“, die (nicht nur im einewelt haus Magdeburg) Brücken schlägt zwischen den Menschen mit ihren unterschiedlichen Biografien und Erinnerungsgeschichten.